Lieber Boris Palmer,

Ihr Artikel, auf Zeit Online vom 24. Mai 2012 regt zum Widerspruch an. Die grundsätzliche Frage, warum die Piratenpartei heute erfolgreich Wahlen in der Bundesrepublik Deutschland bestreitet, bleibt in Ihrem Artikel unbeantwortet.

Der Ausdruck „flüssige Demokratie“ kann als eine Metapher verstanden werden, die zum Ausdruck bringt, dass politische Prozesse fließend sind. Fließende Prozesse sind immer zukunftsgerichtet, und niemand kann vorhersehen, wie die Zukunft tatsächlich aussieht. Das Konzept von „flüssiger Demokratie“ ermöglicht einem breiten Publikum eine direkte Beteiligung an politischen Prozessen zu jedem Zeitpunkt. Ob und in welchem Maße sich Bürgerinnen und Bürger an diesem Angebot beteiligen wollen, ist eine sekundäre Frage. Die Möglichkeit, sich an politischen Prozessen unter diesen Voraussetzungen beteiligen zu können, ist mit Liquid Democracy eröffnet. Liquid Feedback ist ein Instrument zur Umsetzung.

Sie haben zwei Kritikpunkte an Liquid Democracy in Ihrem Artikel beschrieben, auf die ich hier näher eingehe.

Sie schreiben: „Die flüssige Demokratie führt erstens zur einem gewaltigen Verlust an Verlässlichkeit.“

Verlässlichkeit bedeutet, dass zu den Aussagen gestanden wird, die gemacht wurden. Die grundsätzliche Frage ist meiner Meinung nach die Frage, ob Politik überhaupt verlässlich seien kann? Können Menschen, die in der Politik tätig sind, tatsächlich die Zukunft vorhersagen? Anders ausgedrückt, ist es der Auftrag von Politikerinnen und Politikern Verlässlichkeit zu demonstrieren, oder ist es eher die Aufgabe von Politik, unter sich ständig verändernden Rahmenbedingungen Lösungsansätze für das Gemeinwohl zu erarbeiten?

Die politische Realität gibt die Antwort. Erinnert sei hier beispielsweise an die Kehrtwende der Atompolitik der CDU oder an die Kehrtwende der Grünen auf dem Feld der Friedenspolitik in der Position als Koalitionspartner der SPD auf Bundesebene. Ich vermute, dass die Piratenpartei deshalb so erfolgreich ist, weil viele Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeiten, die sie durch Liquid Democracy hätten, erkennen. Im Prinzip bereichert die Piratenpartei mit ihrem Ansatz die demokratische Kultur in der Bundesrepublik Deutschland. Dies tut sie auf der Grundlage von mehr Partizipation der Bürgerinnen und Bürger an politischen Entscheidungen.

Sie schreiben: „Zweitens überfordert die flüssige Demokratie das Individuum maßlos. Die schiere Menge und Komplexität der Entscheidungen, die Politiker täglich treffen, ist für einen Einzelnen nicht zu bewältigen“ Liquid Democracy ist kein Zwang, sondern ein Angebot. Dieses Angebot richtet sich an all diejenigen, die für sich die Möglichkeit in Anspruch nehmen möchten, die Politik aktiv mitgestalten zu wollen.

Mit freundlichen Grüßen

Peter Hollitzer

7 Kommentare

  1. 1

    Gut soweit. Man kann sicher noch eine ganze Menge mehr als Antwort auf diesen sehr provokanten Palmer-Artikel beschreiben, immerhin erklärt Palmer die Piraten zur „Gefahr für die Demokratie“. Wenn man sein Engagement im vergangenen Jahr bei den S21-Sitzungen betrachtet, bei denen Bürgerbeteiligung immer wieder die Maxime war, dann fragt man sich, wie er sich zu einer solchen Aussage versteigen konnte.

    Andererseits gehört er zur Riege der etablierten Berufspolitiker – und er will die Wählerstimmen für Bürgerbeteiligung lieber selbst haben. Wie verlässlich ist das denn?

  2. 2

    Leider – und das meine ich sehr Ernst – versteigt sich Hr. Palmer immer öfter in Polemik. Der von ihm verfasste Kommentar ist in aller erster Linie an Grüne und Piratensympathisanten geschrieben. Zu offensichtlich der mehrfache Hinweis auf Frauenmangel und die Betonung, dass alles so ungewiß bei den Piraten ist. Es geht ihm weder um die Demokratie noch um die technischen Vorgänge wie Piraten zu Ergebnissen kommen. Es reicht ihm völlig aus, dass zwischen den Zeilen steht, die Piraten sind frauenfeindlich und kein verlässlicher Partner. Eine billige Schmutzkampagne Im Gewand einer politischen Analyse. Wer jetzt glaubt das sei überzogen, möge sich bitte vor Augen halten, dass Palmer mit Sicherheit weiß, dass er mit derart symplifizierten Aussagen keinen Piraten erreichen kann. Schließlich wissen diese ja, dass er Müll erzählt. Wen also will er erreichen?

  3. 3

    +1 Peter, Rolf und Frank

    Wenn Herr Palmer so wie er hier (in dem Artikel auf Zeit.de) redet, als Unternehmer handeln wuerde, waere er verlaesslich aber zuegig pleite.

    Und da sagt man uns Piraten immer nach, wir haetten keine Kompetenz in Wirtschaft.

    Lieber Herr Palmer, in meinem Kreis habt ihr nach 30 Jahren in diesem einen Kreisverband gegruendet. Wir auch, einen Monat spaeter, nach 4 Jahren (LV Brandenburg) mit mehr Mitgliedern als ihr.

    Ich hatte gerne mit Euch zusammengearbeitet aber wenn ihr statisch immer weit hinter der Zeit zurueck bleibt. Was sollen wir da machen, wenn wir es halt besser koennen. 😮

    Ich verstehe schon den Frust, wenn man von jemandem ueberholt wird und alles strampeln reicht nicht um Anschluss zu halten.

    Aber an statt dann schneller zu trampeln, zu heulen ist schon ein wenig peinlich, finde ich.

    Ahoi

  4. 4
    Paul Bundschuh

    Guter Brief Peter, obwohl der Autor des Ursprungtextes offensichtlich provozieren möchte ist es dir gelungen sachlich argumentativ darauf zu reagieren. Genau so sollte unser Umgang mit politischen Widersachern sein und unterscheidet uns von den etablierten Politiker.

  5. 5
    Bettina Günter

    Palmer ist so sehr Berufspolitiker und so wenig von der ursprünglichen grünen Tradition der Basisdemokratie beleckt, dass er Politikwechsel nur den Hinterzimmergesprächen der amtierenden Politiker zugesteht.

    Vielleicht hätten Grüne und SPD etwas weniger Probleme mit ihrer Glaubwürdigkeit, wenn sie z.B. vor dem Umschwenken in der Sozialpolitik (Einführung von Hartz4 etc.) ihre Mitglieder und Wähler gefragt hätten.

    Aber im Grunde weiß Palmer genau, dass die Grünen auch zu den Parteien gehören, die „unpopuläre Maßnahmen“ durchziehen und sie hinterher den Bürgerinnen und Bürgern „erklären“. – etwa so wie in Griechenland, wo man am liebsten gar nicht wählen würde, damit nur ja alles beim Alten bleibt.

    So gesehen ist ein Tool wie Liquid Feedback durchaus ein Angriff auf die bürgerliche Repräsentative Demokratie!

    Hoffen wir mal, dass eure Angst berechtigt ist!

  6. 6
    Frank Roeder

    ist doch eher lustig zu sehen wie sich Palmer hemmumgslos bei den Metaphern der Piraten bedient und selbst von einem Betriebssystem spricht, die Parteien aber als Handy sieht

    deshalb nutzen Piraten ja auch lieber Smartphones, denn die lassen komplexere Kommunikation zu, ebenso wie Liquid Feedback ein komplexes Abstimmverhalten als nur ein Wahlzettel zulässt und den Sinn und Zweck von Delegationen, sowie der Gebrauch von Klarnamen ist ja auch bei den Piraten aktueller Stand des politischen Prozesses und der damit einhergehenden Professionalisierung der plebiszitären 2.0 Direkt- und eben nicht nur 1.0 Basisdemokratie

  7. 7
    Sascha Goldmann

    Peter Hollitzer kommentierte:

    ***
    Sie schreiben: „Die flüssige Demokratie führt erstens zur einem gewaltigen Verlust an Verlässlichkeit.“

    Verlässlichkeit bedeutet, dass zu den Aussagen gestanden wird, die gemacht wurden.
    ***

    An diesem Punkt haette Hr. Hollitzer wunderbar ausfuehren koenen, was mir noch ungleich wichtiger ist als der gesamte Rest:
    Die fluessige Demokratie fuehrt zu einer Politik, in der eine Fuehrungsperson jederzeit pruefen kann, wie das Stimmungsbild liegt, und ob die eigene Meinung noch stellvertretend fuer die Basis steht.
    Die Selbstbeweihraeucherung und Selbsttaeuschung oder gar mutwillige Entscheidungen gegen den Volkswillen koennen damit nicht mehr kaschiert werden.
    Es ist dadurch auch eine Legitimation bei strittigen Entscheidungen.

    Damit koennten strittige Fragen zukuenftig entschieden werden, bevor es zu rueckwirkenden Schadensbegrenzungskompromissen wie bei S21 kommt.
    Die Probleme koennen frueher und Schritt fuer Schritt bearbeitet werden, bevor sich Grabenkaempfe entwickeln, und beide Seiten fuer sich die Volksmeinung in Anspruch nehmen.
    Bzw. kann mit fluessiger Demokratie lueckenlos nachvollzogen werden, wie die Entscheidungsfindung stattfand.

Antworte auf Sascha Goldmann