Gastbeitrag von Karin Jacobs und Michael Passlack

Trinkwasser als Spielball von Finanzhaien

Schon im Jahr 2002 schrieb das ‚Handelsblatt‘ die prophetischen Zeilen: „Der Bedarf an Wasser steigt mit zwei bis drei Prozent jährlich doppelt so schnell wie die Weltbevölkerung. Experten gehen davon aus, dass im Jahr 2025 ein Drittel der Menschheit keinen Zugang zu sauberen Trinkwasser mehr haben wird. Analysten rechnen mit zweistelligen Wachstumsraten für Dienstleister, Ausrüster und Versorger auf dem Wassermarkt.“ [1]

Die Fluchtursache Wassermangel

Ende August 2015 hat das World Resources Institute (WRI) eine Studie über weltweiten Wassermangel veröffentlicht. Die meisten der Krisenländer, aus denen derzeit Geflüchtete nach Europa kommen – Syrien, der Irak, Afghanistan, Libyen, Eritrea – sind auf der Karte des WRI tiefrot eingefärbt.

Es gebe einen „wachsenden Konsens“ in der Forschung, dass der Klimawandel ein „Multiplikator für bereits existierende Spannungen“ sei, heißt es im Bericht des „Clico“-Projekts („Climate Change, Hydro-conflicts and Human Security) von 2013. Jüngst prognostizierten Forscher gar, dass die Golfregion in wenigen Jahrzehnten unbewohnbar sein könnte.

Skrupellose Finanzjongleure aus den Industrieländern sind demnach für eine große Zahl an Geflüchteten mitverantwortlich, die Menschen die elementarsten Lebensgrundlagen in ihrer Heimat entziehen. [2]

Die Situation in den Entwicklungsländern

Beinahe hinter jedem Produkt, das wir im Alltag nutzen, steckt mehr Wasser als man sehen kann. Dieses sogenannte virtuelle Wasser bezeichnet die zur Herstellung eines Produktes benötigte Menge an Wasser. Darunter fallen der Anbau der Grundstoffe, die Weiterverarbeitung dieser und die Transportwege. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um einen Gegenstand wie ein T-Shirt oder um eine Tasse Kaffee handelt ( beliebte Konsumgüter in westlichen Industrieländern wie zum Beispiel Kaffee, Kakao, Baumwolle, Schweinefleisch, Sojabohnen, Rindfleisch oder Nüsse). Einen hohen Verbrauch an virtuellem Wasser hat Deutschland in den benachbarten Industrienationen, zu einem besonders großen Teil aber auch in Brasilien, der Elfenbeinküste, Indonesien, Ghana oder Indien. [3]

Nestlé nimmt Menschen in Afrika das Wasser – der Pure Life Skandal [Dokumentation ARD – 8 Minuten]. [4]

Die neoliberale Privatisierung in Großbritannien unter Thatcher

Was eine Privatisierung und Börsennotierung bewirkt, zeigte sich in Großbritannien am Beispiel der Trinkwasserversorgung. Diese wurde 1989 von der konservativen Thatcher-Regierung gegen den Willen eines Großteils der britischen Bevölkerung privatisiert. So unbeliebt war die neoliberale Privatisierung schon damals, dass die Tories deren Einführung in den 1980er Jahren zweimal verschoben hatten, um mögliche Niederlagen bei Parlamentswahlen zu vermeiden.

In der Folge kam es -in einem der reichsten Länder Europas- zu Szenen wie im Katastrophengebiet eines Entwicklungslandes: Briten, die ihre Wasserrechnung nicht mehr bezahlen konnten, mussten auf offener Straße von Tankwagen versorgt werden. Derweil erlebte der Börsenhandel von Wasserrechten einen Boom – als die Spekulationsblase platzte, blieben die Verbraucher auf den im Nirwana verschwundenen Milliarden sitzen. [5]

Eine in der Zukunft mögliche Labour-Regierung will die Wasserversorgung re-verstaatlichen und den Profitgedanken verbannen. Stattdessen will man eventuelle Überschüsse für Investitionen in Infrastruktur oder in die Kostensenkung stecken. [6]

Die deutsche Gewerkschaft Ver.di schreibt dazu: „Wasser ist mittlerweile kostbar geworden, weltweit agierende Unternehmen wollen damit hohe Gewinne erzielen. Sie treiben die Preise für Wasserversorgung und -entsorgung immer weiter in die Höhe. Und vielleicht erhalten auch Sie eines Tages kein sauberes Wasser mehr, weil Sie es nicht bezahlen können oder weil sich die Bereitstellung für ihren örtlichen Versorger nicht lohnt.“ [7]

Das Menschenrecht auf Wasser

Am 28. Juli 2010 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen mit der Resolution 64/292 das Recht auf Wasser als Menschenrecht anerkannt. Die Resolution ist mit 122 Mitgliederstimmen angenommen worden. 41 Staaten haben sich ihrer Stimme enthalten. Zum angemessenen Lebensstandard zählt das Recht auf sanitäre Einrichtungen und sauberes Wasser. Darüber hinaus sind andere Menschenrechte ohne das Recht auf Wasser gar nicht vorstellbar:

  • Das Recht auf Leben ist ohne Wasser nicht möglich
  • Das Recht auf Nahrung und der Schutz vor Hunger schließt Wasser natürlicherweise mit ein
  • Das Recht auf Gesundheit und körperliche Unversehrtheit ist ohne sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen nicht zu erreichen. [8]

Die UN-Konventionen richten sich an die Mitgliedsstaaten und fordern diese zu staatlichem Handeln auf. Aber damit allein ist den Menschen, die von der Wasserversorgung abgeschnitten sind, nicht gedient.
Wasser ist nicht nur ein Produkt für Konsumenten, die die Ware bezahlen können, sondern ein Gemeinschaftsgut für alle. Hier muss auch ein individuelles Naturrecht gelten, Wasser von all denjenigen verlangen zu können, die es im Überfluss haben, weil niemand ein vorrangiges Recht vor allen anderen haben kann, auf der Erde zu leben. [9]

Wem „gehört“ das Wasser?

Die Bürgerinitiative Right2Water sammelte in einer Protest-Petition fast zwei Millionen Unterschriften, sodass sich die EU-Kommission gezwungen sah, die Pläne wieder zurückzunehmen. Die EU-Bürgerinitiative verbuchte dies als Erfolg – obgleich in Griechenland als Gegenleistung für die ESM-Rettungskredite eine Öffnung des Wassermarktes für private Anbieter gefordert wurde.

Der Zugang zu Trinkwasser müsse sich für alle Menschen verbessern, insbesondere für schutzbedürftige und ausgegrenzte Bevölkerungsgruppen, heißt es in aktuellen Vorschriften der EU-Kommission. Vor zwei Jahren brachte Right2Water zudem einen Gesetzesvorschlag auf den Tisch, der für einere bessere Wasserqualität sorgen soll. [10]

Das Geschäft mit dem Trinkwasser

Coca-Cola und Pepsi, Danone und Nestlé – alle liefern sich einen Konkurrenzkampf um die besten Quellen, streiten um Förderlizenzen, jagen nach mehr Absatz und höherer Rendite. [11]

Die unterschiedlichen Beispiele Flint, Vittel und Lüneburg

Die US-Stadt Flint wollte Geld sparen – und zapfte ihr Trinkwasser ab dem Sommer 2014 aus einem Fluss. Doch die Wasseraufbereitungsanlage konnte das Wasser nicht entsprechend den Trinkwasservorschriften aufbereiten. Das aggressive Wasser löste Blei aus alten Leitungen, viele Bürger wurden krank.

Der Skandal in der früheren Industriestadt wurde zum Symbol für soziale Ungerechtigkeit in den USA. In der mehrheitlich von Schwarzen bewohnten Stadt lehnten die Behörden zuerst Beschwerden der Einwohnerinnen und Einwohner ab. Das änderte sich erst, als der Fall landesweit für Aufsehen sorgte und Umweltschutzbehörden Druck ausübten. [12] [13]

Seit Jahrzehnten ist Nestlé in Frankreich aktiv und produziert in der Kleinstadt Vittel aus drei Brunnen sein gleichnamiges Wasser. Das immer gleiche Geschäftsmodell: Für lächerliche Gebühren besonders hochwertiges Trinkwasser (aus 250 Meter Tiefe) abpumpen und in Plastikflaschen verpackt in ganz Europa verkaufen. .

Die Kritik daran wird seit Jahren von Anwohnern und Naturschützern formuliert. Jetzt stellt sich Vittel dieser Kritik vor laufender Kamera – und zeigt sich uneinsichtig. Dabei sinkt der Grundwasserspiegel ständig – jährlich um ca. 30 cm. Für ein Geschäft, bei dem plastikverpacktes Wasser mit phantastischen Gewinnspannen weltweit teuer verkauft wird.

Die Versorgung der Bevölkerung gerät also mittelfristig ernsthaft in Gefahr. Nachfolgende Generationen laufen Gefahr, dass sie mit Tankwagen versorgt werden müssen – ein schlechter Witz, angesichts dieser ehemals wasserreichen Region.

Nestlé weist die durchaus realistischen Szenarien der Anwohner zurück und möchte so weitermachen wie bisher. Der Konzern beharrt auf seinem Gewohnheitsrecht und den laufenden Verträgen. Auch zur fragwürdigen Abfüllung in PET sieht der Konzern aktuell keine Alternativen. Die Geschäftspraktiken von Nestlé in Vittel werden demnach auch in den nächsten Jahren bestehen bleiben – bis die Brunnen versiegen. [14]

Coca-Cola betreibt im Landkreis Lüneburg derzeit zwei Brunnen. Mit der Inbetriebnahme des zweiten Brunnens 2016 wurde die erlaubte Entnahmemenge zwar nicht erhöht, aber die Entnahmefrist bis 2041 verlängert. Seit 2020 baut Coca-Cola nun an einem dritten Brunnen. Geplant ist mit diesem neuen Brunnen zusätzlich 350 000 Kubikmeter Wasser zu fördern. [15]

Der Coca-Cola Konzern zahlt in Lüneburg 9 Cent pro Kubikmeter. Diese Einnahmen sind nach dem NWG (Niedersächsisches Wassergesetz) zweckgebunden und werden zum Schutz von Gewässern verwendet. Respekt, vor diesem letztlich ironischen Prozedere.

Ausschlagebend waren für den Deal offenbar die entstandenen Arbeitsplätze bei Förderung, Logistik und Produktion – Coca-Cola beschäftigt aktuell 190 Mitarbeiter am Standort Lüneburg. Befürworter des dritten Brunnens argumentieren folglich mit der Sicherung von Arbeitsplätzen in der Hansestadt. Darüber hinaus würden über die Gewerbesteuer Einnahmen generiert.

Dagegen opponiert seit Mitte 2020 eine Bürgerinitiative. Sie befürchtet, dass sich das Grundwasser in vermehrt auftretenden Dürreperioden verknappt und somit der Bevölkerung in Zukunft nicht mehr im ausreichenden Maße zur Verfügung steht. [16]

Auswirkungen des anthropogenen Klimawandels In Deutschland

Die vergangenen drei Sommer waren regional von großer Trockenheit geprägt. In diesem Sommer hatte der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) vor einer schwierigen Versorgungssituation mit Trinkwasser in einigen Regionen gesprochen. „Die letzten drei Jahre war der Klimawandel für viele von uns ganz persönlich wahrnehmbar“. [17]

Wasserverschwendung in der Landwirtschaft am Beispiel der Baumwolle

Weltweit werden jedes Jahr 256 Kubikkilometer Wasser für den Baumwollanbau verbraucht. Etwa 44 Prozent davon gehen in den Export. Indien, die Türkei, Pakistan, Usbekistan, Bangladesh und China liefern zusammen mehr als zwei Drittel der weltweiten Baumwollproduktion und sind auch Deutschlands Top-Lieferanten. Durch den Import von Rohbaumwolle und Baumwollprodukten hinterlässt Deutschland jährlich einen Fußabdruck in Höhe von 5,46 Kubikkilometer – das entspricht neun Prozent seines gesamten landwirtschaftlichen Wasser-Fußabdruckes im Ausland. [18]

Nestlé und Julia Klöckner – der Konzern des Grauens und die Ministerin

In den Siebzigerjahren veröffentlichte eine englische Hilfsorganisation die Studie „The Baby Killer“. Sie kritisierte die Nestlé-Werbung für Milchpulver in Entwicklungsländern scharf, weil sie Mütter vom Stillen abbringe und dazu verleite, Milchpulver mit verschmutztem Wasser anzurühren. Nestlé, so die Studie, sei damit verantwortlich für den Tod unzähliger Säuglinge. [19]

Dass nun der Nestlé-Deutschland-Chef jüngst selbst bei der Ministerin auftauchte, findet der Konzern trotzdem nicht anrüchig, sondern als Zeichen dafür, dass man doch offen agiere. „Für uns ist es wichtig, transparent zu sein. Dazu gehört es auch, öffentlich darüber zu informieren, wenn wir uns mit einem Vertreter der Politik austauschen“, sagt dazu ein Sprecher von Nestlé-Deutschland. [20]

Schlußbemerkung

Den größten Image-Crash verursachte der Firmenlenker selbst. In einem Interview hatte Verwaltungsratspräsident Peter Brabeck-Letmathe davon gesprochen, dass Wasser eben kein öffentliches Gut und der Zugang zu Wasser eben kein Menschenrecht sei, sondern Wasser einen Marktwert habe. Die Äußerung sorgte weltweit für Empörung, denn Nestlé verdient sehr gut an dem Geschäft mit dem Wasser – die Schweizer sind Marktführer für in Flaschen abgefülltes Trinkwasser. Um in dem Segment zu wachsen, hat Nestlé weltweit Wasserrechte (auch in sehr trockenen Regionen) gekauft und steht dafür am Pranger. [21]

Der Dokumentarfilm „Bottled life“ beleuchtet die Geschäftspraktiken des Unternehmens. [22]

Wasser ist entgegen der Meinung des Nestlé-„Präsidenten“ natürlich Gemeingut und hat den Anspruch eines Menschenrechts. Überlassen wir es widerstandslos einigen Mega-Konzernen zur Gewinnmaximierung, nehmen wir billigend in Kauf, dass es für Einkommensschwache unerschwinglich wird und vermehrt zu Sperren des Versorgers kommt – wie es heute schon beim Strom für einige hunderttausend Haushalte in Deutschland zur Gewohnheit geworden ist. [23]

Quellen/Fußnoten:

[1] https://www.handelsblatt.com/archiv/analysten-erwarten-sprudelnde-gewinne-fuer-wasserfonds-und-wasserzertifikate-wasser-wird-das-oel-des-21-jahrhunderts/2176242.html?ticket=ST-365963-zzbdjd9YDXnbAUzezcfx-ap4
[2] https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/fluechtlinge-klimawandel-und-wassermangel-verschaerfen-gefahr-a-1059195.html
[3] https://www.fluchtgrund.de/2016/11/virtuelles-wasser-wie-der-westen-dritte-welt-staaten-austrocknet/
[4] https://www.youtube.com/watch?v=CoOECk4UCkE
[5] https://www.arte.tv/de/videos/082810-000-A/wasser-im-visier-der-finanzhaie/
[6] https://www.heise.de/tp/features/Labour-Partei-will-britische-Wasserversorgung-verstaatlichen-4175851.html
[7] https://www.verdi.de/themen/internationales/wasser-ist-menschenrecht
[8] https://www.menschenrechtsabkommen.de/recht-auf-sauberes-wasser-1122/
[9] https://ethik-heute.org/%EF%BB%BFwasser-ein-menschenrecht-fuer-alle/
[10] https://www.heise.de/tp/features/Wem-gehoert-das-Wasser-4923155.html?seite=all
[11] https://www.welt.de/print/die_welt/wirtschaft/article158777647/Schmutziger-Kampf-um-sauberes-Wasser.html
[12] https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/trinkwasserskandal-in-flint-anklage-wegen-totschlags-erhoben-a-1152145.html
[13] https://orf.at/stories/3178233/
[14] https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/nestle-vittel-wasser-100.html
[15] https://www.landeszeitung.de/lokales/93279-was-wir-ueber-die-wasserplaene-von-coca-cola-wissen2/
[16] https://www.tagesschau.de/inland/tagesthemen-mittendrin-cocacolabrunnen-101.html
[17] https://www.rnd.de/wissen/klimawandel-grundwasser-in-deutschland-konnte-knapp-werden-DFPIZIWFUX55SF2WE2OJ7ARSBY.html
[18] https://www.wwf.de/themen-projekte/fluesse-seen/wasserverbrauch/wasser-verschwendung
[19] https://www.sueddeutsche.de/politik/nestle-gigant-der-skandale-1.4477635
[20] https://www.sueddeutsche.de/politik/kloeckner-ernaehrung-gesund-lebensmittel-lobbyismus-1.4477633
[21] https://www.stern.de/wirtschaft/news/nestlé–die-skandale-der-vergangenen-jahre-6475346.html
[22] https://www.bottledlifefilm.com/hauptseite
[23] https://www.zdf.de/nachrichten/heute/wenn-das-licht-ausgeht-stromsperren-betreffen-hunderttausende-100.html

 

 

 

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