PROLOG

Am 12. Juli 1952 hatte die 2. Parteikonferenz der SED die Einführung des planmäßigen Aufbaus der Sozialisierung beschlossen, was zum Beispiel die Auflösung der alten Ländergrenzen, Forcierung der Gleichschaltung und Zwangskollektivierung der Landwirtschaft bedeutete. Auf Kosten der Konsumgüterindustrie stampfte die SED eine Stahlindustrie aus dem Boden. Besonders umstritten war die Erhöhung der Arbeitsnormen um 10%, denn es bedeutete nichts anderes als verordnete Lohnkürzungen.

In der Nacht vom 4. zum 5. März 1953 starb Josef Stalin. Bis heute kann nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden, welches seine wirklichen deutschlandpolitischen Ziele waren. Zugängliche Quellen zur Stalin-Note lassen unterschiedliche Interpretationen zu.

Am 11. Mai regte der damalige britische Premier Winston Churchill in einer Unterhausrede an, die baldige Einberufung einer Viermächte-Konferenz zur Lösung der deutschen Frage anzugehen, was Bundeskanzler Adenauer umgehend ablehnte.


Der 17. Juni 1953

Am 17. Juni streikten die Arbeiter auf der Stalinallee in Berlin. Vier Jahre nach der Staatsgründung der DDR des angeblich besseren, weil aus der Vergangenheit die richtigen Lehren ziehenden Deutschlands: Berliner Arbeiter stiegen auf das Brandenburger Tor, rissen die roten Fahnen herab und ersetzten sie durch die schwarzrotgoldene Deutschlandfahne; es gab auch Streiks, Kundgebungen an anderen Orten wie zum Beispiel Bitterfeld, Magdeburg und Leipzig.
Erstmals seit 1945 war die Rote Armee in Europa außerhalb des eigenen Landes mit dem Ernstfall konfrontiert.

Die in der DDR stationierten sowjetischen Militäreinheiten erstickten die sich entwickelnden Unruhen, sowohl aufgrund der Erhöhung der Arbeitsnormen in Ost-Berlin aber auch der sich verschlechternden Versorgungslage in der DDR, im Keim.

Wären die aufständischen Bestrebungen nicht so konsequent beendet worden, hätten die Unruhen und Demonstrationen mit Forderungen nach freien Wahlen und deutscher Einheit zum Sturz der SED-Herrschaft geführt. Das Herrschaftsmonopol der SED stand deutlich zur Disposition.
Die bekannteste intellektuelle Opposition ging von Wolfgang Harich aus. Der Kreis um ihn wollte den Sozialismus erneuern, ihn keineswegs abschaffen. An die Einführung einer Demokratie nach westlichem Muster war nicht gedacht.

Und in der Bundesrepublik?

In der Bundesrepublik wurde bald nach der niedergeschlagenen Volkserhebung am 17. Juni in Ost-Berlin und in der DDR daraus ein gesetzlicher Feiertag. Das Engagement der Westdeutschen nahm aber nach einigen Jahren ab. Es war einfach nur ein willkommener arbeitsfreier Tag.
Am Sonntag den 13. August 1961 begann dann der Bau der Berliner Mauer. Die Mauer ging mitten durch ein Land und rings um den Teil einer Stadt.

Sonnenallee

Der Film Sonnenallee aus dem Jahr 1999, benannt nach einer Straße in Berlin, erzählt auf humoristische, wenn auch nicht geschichtstreue Art und Weise das Leben Jugendlicher in der DDR der 70er Jahre. So wollte der Protagonist zum Beispiel gerne Popstar werden.
In der Realität aber leitete die DDR Anfang der 70er Jahre Abgrenzungsmaßnahmen als Antwort auf die Entspannungspolitik ein; Partei-und Staatsfunktionäre, aber auch Wehrpflichtige, durften keinen Kontakt zu Ausländern unterhalten. Das half aber wenig, denn die Bürger erwarteten auch für die DDR eine Lockerung der Überwachung und Zensur.

Die engen Grenzen der Autonomie wurden für Intellektuelle unter anderem 1976 durch die Ausbürgerung von Wolf Biermann nach einer Konzerttournee durch die Bundesrepublik sichtbar. Freunde und Bekannte, die gegen die Maßnahme protestierten, wurden ebenfalls verfolgt.

Unruhen gab es zum Ende der 70er Jahre vor allem auch durch kirchliche Aktivitäten, wo zum Beispiel im Umfeld gegen den Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan 1979 protestiert wurde und die Gründung der Umweltbibliothek in Berlin, die Umweltzerstörungen in der DDR dokumentierte. [1]

Der Leipziger Ring und seine Vorgeschichte

Die Zuversicht, die zu Beginn der Ära Honecker 1971 mit Blick auf die äußere Entspannung und innere Reformen geherrscht hatte, war verflogen. Die Unzufriedenheit stieg trotz massiver Diskriminierung an und im Juli 1984 kam es zur ersten Botschaftsbesetzung als 50 Ostdeutsche in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Zuflucht suchten, um eine Genehmigung zu erhalten, aus der DDR auszureisen.

Um die DDR herum begannen sich die Dinge zu ändern. Die beschleunigte Erosion im sozialistischen Lager hatte mit der polnischen Gewerkschaftsbewegung in den 80er Jahren begonnen. In Polen hatten Arbeiter im September 1980 die unabhängige Gewerkschaftsbewegung Solidarnósc gegründet, in der Tschechoslowakei hatte bereits die Verabschiedung der Charta 77 zur Gründung einer Bürgerrechtsbewegung unter Václav Havel geführt.

In Ungarn begann 1982 eine intensive Diskussion über die Ziele der wirtschaftlichen und politischen Zukunft des Landes, nachdem der seit 1956 praktizierte sogenannte Gulasch-Kommunismus von Janos Kádár, das heißt, die Strategie, ökonomische Reformen von politischer Liberalisierung zu trennen, nicht länger zu funktionieren schien.

Für die DDR wurde es erst wirklich kritisch, was aber nicht sofort erkennbar war, als der Reformprozess auch die Sowjetunion erreichte. Am 10. März 1985 wurde Michael Gorbatschow zum ersten Sekretär der KPdSU ernannt. Er startete eine Politik der Öffnung (Glasnost) und Umgestaltung (Perestroika), was auf weitreichende und tiefgreifende Veränderung schließen ließ.
Häufig wird behauptet, dass die friedliche Revolution für viele überraschend kam; eigentlich kann das aber nur für jene Westdeutschen gelten, die keinerlei Kontakte in die DDR hatten und vermutlich nach der Wende auch nicht dort hin fuhren.

Good bye, Lenin! oder ….

Die DDR brach an systemimmanenten Faktoren wie ihrer Wirtschaftskrise und Schuldenmisere, den Problemen des zentralen Herrschaftssystems und auch an abnehmender Systemloyalität zusammen.

In dem Film „Good bye, Lenin! aus dem Jahr 2003 fällt die Mutter des 21jähirgen Axel, eine überzeugte DDR-Bürgerin, kurz vor der Maueröffnung ins Koma und verschläft so den Siegeszug des Kapitalismus. Als sie nach acht Monaten wieder aufwacht, befindet sie sich in einem neuen, anderen Land. Sie hat nicht miterlebt wie West-Autos und Fast Food Ketten den Osten überrollen, wie Coca-Cola Jahrzehnte des Sozialismus einfach wegspült.
Erfahren darf sie von alldem nichts, weil ihr schwaches Herz dies nicht überstehen würde. Um seine Mutter zu retten, muss Alex auf 79qm Plattenbau die DDR konservieren, genauer: wiederauferstehen lassen.

Die filmische Verarbeitung verdeckt, dass die Grundwidersprüche einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung, aus denen die sozialistische Bewegung erwuchs, mit der Niederlage nicht verschwunden sind. Weder Materialismus noch Idealismus (einschließlich der Religionen) kommen mit den großen Menschheitsproblemen zurecht.

Das „Modell Bundesrepublik“ hatte eine große Strahlkraft. Während ein freies Polen möglich war, war eine freie DDR undenkbar, da im deutschen Fall die Frage der Freizügigkeit immer mit der nationalen Frage verknüpft war.

Die Herbstrevolution 1989, der Zusammenbruch der SED-Herrschaft und die bald folgende deutsche Einheit hatte Konsequenzen für den Tag der deutschen Einheit. Der Einigungsvertrag behielt den Tag der Deutschen Einheit (jetzt mit großem D) Feiertag wurde aber der 3.Oktober, der Tag an dem die DDR der Bundesrepublik beigetreten ist.

…die Suche nach neuer Identität

70 Jahre nach dem Aufstand und 30 Jahre nach dem Beitritt der DDR ist nur vordergründig Normalität eingekehrt, es ist eher ein Nebeneinander als ein Miteinander der beiden Staatshälften. Politische Differenzen zwischen Ost und West sind nicht verschwunden, sondern tauchen als Grundsatzkonflikte wieder auf.

Hierunter fällt auch das starke Abschneiden einer rechtspopulistischen Partei in den ostdeutschen Bundesländern. Sie punktet nicht mit Sachkompetenz, bei ihr geht es um Identitätsfragen. Verluste sind schmerzhaft, wenn das was man verliert, oder zu verlieren glaubt, ein wichtiger Teil der eigenen Identität war oder ist. Es geht um sehr spezielle Vorstellungen von Lebensgefühl als Teil eines Gemeinschaftsgefühls. Dies ist auch das Hauptmerkmal politischer Parteien, das heißt sie versuchen, soziale Identitäten, wie gemeinsame Interessen und Merkmale zu binden.

Die gemeinsame Identität bzw. Kultur beinhaltet eine bestimmte Lebensführung, die besonders die alltägliche Lebensgestaltung betrifft, zum Beispiel Mobilität (Fahrrad oder Auto), Urlaubsplanung (Billigflug oder Nichtflug). Identität kann auch grundsätzlich auf bestimmte Dinge ausgerichtet sein, wie zum Beispiel fleischlose Ernährung, letztlich spiegelt sie den Lebensstil einer Mittelschicht; Hauptzielgruppe der der rechtspopulistischen Parteien, Ost wie West. Empfänger von Bürgergeld zählen nicht zu deren Zielgruppe; es geht um Entlastung von Veränderungsdruck, nicht finanzielle Entlastung. Der Veränderungsdruck war und ist im Osten ungleich höher als im Westen, hier ist dann vermutlich eine der Ursachen für den großen Zuspruch den die Partei dort erfährt.

EPILOG

Bereits Aristoteles lehrte vor über 2000 Jahren, dass die Welt vielschichtig ist und die Realität nicht aus dem Prinzip nur einer Schicht erklärt werden kann. Nach dem aristotelischen Weltbild sind die materialistische und die idealistische Weltsicht unzulässige Vereinfachungen der Wirklichkeit. Die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung seines Weltbildes mit der Realität ist aber für den Menschen nicht ein Problem weltfremder Gedankenspielerei sondern ein Problem seiner Existenz.

Die politischen Herausforderungen sind heute andere, als zu Zeiten der „Bonner Republik“, welche durch spezifische Rahmenbedingungen wie die Teilung der Welt und den Kalten Krieg begünstigt wurde.. Die Auswirkung neuer Entwicklungen, nicht zuletzt des Kriegs in der Ukraine und des erstarkten Populismus auf Politik und und Gesellschaft sind erheblich. Aber Demokratie gehört nicht der Vergangenheit an.


[1] 1973 erschien der Bericht des Club of Rome „Die Grenzen des Wachstums“; der marxistische Philosoph und Literaturwissenschaftler Wolfgang Harich hatte sich bereits auch mit dem Spannungsverhältnis von Gesellschaft und Natur beschäftigt. 1975 erschien sein Buch „Kommunismus ohne Wachstum?“ im Westen.

Er forderte u.a. drei Dinge zu überdenken:

  1. Ist es wirklich sicher, dass die kommunistisch-sozialistische Welt als erste den Übergang zum Kommunismus schafft? Es könne ebenso im Westen geschehen.
  2. Der bisher präsentierte Kommunismus als Absterben des Staates, solle als Utopie entlarvt werden; vielmehr ginge es um einen stark durchgreifenden Zuteilungsstaat.
  3. Dieser Art von Verteilungsstaat sei als einziger in der Lage, weltweit, die drohende ökologischen Versorgungsgefahren einzudämmen.

Was denkst du?