Berlin, 10.12.2010

Die Regierungsfraktionen von SPD und Linke im Berliner Abgeordnetenhaus, haben am gestrigen Donnerstag dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) zugestimmt, Grüne und CDU lehnten ihn in Berlin ab.
Allen voran lehnt dies aber die größte außerparlamentarische Oppositionspartei, die Piratenpartei, ab,
die diesen „Rückfall in die Steinzeit“ seit Monaten bekämpft. [1]
Ab 01.01.2011 sollen laut dem dann in Kraft tretenden geänderten JMStV alle
„entwicklungsbeeinträchtigenden Angebote“ im Internet „altersverifiziert“ werden.
Das Gesetz definiert nicht, was unter derartigen Angeboten zu verstehen ist.
Diverse Blogger haben deshalb schon angekündigt, dass sie dieses Bewertungsrisiko nicht eingehen können oder auch den Aufwand scheuen, ihre Seiten entsprechend verifizieren zu lassen. Zwar spricht das Gesetz von einer freiwilligen Einstufung der Angebote, jedoch setzt sich jeder Anbieter, der sein Angebot selbst einstuft und sich dabei irrt, einem Risiko auf Zahlung empfindlicher Geldbußen aus.

„Während Blogger um die Auffindbarkeit ihrer Texte im Internet fürchten, kann sich die Porno-Industrie über den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag freuen“, meint Axel Kistner, Vorstandsmitglied der Piratenpartei Deutschland Berlin zu dem gestern vom Abgeordnetenhaus ratifizierten Vertrag zwischen den Bundesländern. Der Vertrag verpflichtet die Anbieter von Websites zu einer Alterskennzeichnung, damit Jugendschutz-Filter technisch auswählen, welche Inhalte Kinder und Jugendliche aufrufen können. „Mit diesem Vertrag kann die Porno-Industrie ihre Angebote leichter ins Netz stellen und z. B. über Suchmaschinen leicht identifizierbar machen, Blogger und andere nicht kommerzielle Websites sehen sich indes vor dem Dilemma, entweder eine Alterskennzeichnung anzugeben und damit auch die Haftung für Leserkommentare zugeschoben bekommen zu können oder durch die Filter von ihren Nutzern abgeschnitten zu werden.“ – so Kistner weiter. „Damit hat das Abgeordnetenhaus ein handwerklich schlechtes Gesetz beschlossen, das allein Lobbyinteressen dient,“ erklärte Kistner, „die senatstragenden Fraktionen dokumentieren ein weiteres Mal, dass sie nicht imstande sind, einen Fehler rechtzeitig zu korrigieren.“

Die Piratenpartei Deutschland Berlin schließt sich den vielen Expertenmeinungen in Deutschland an, die dem JMStV ablehnend gegenüber stehen. Prof. Dr. Thomas Hoeren, der am Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster lehrt, schreibt zum JMStV, dass derjenige, der dieses Gesetz geschrieben hat, kein Jurist gewesen sein kann und fordert die Politik auf, diesen Unsinn zu stoppen. [2] Alvar Freude, Mitglied der Enquête-Kommission Internet und digitale Gesellschaft des Deutschen Bundestages, bezeichnet die Änderungen des JMStV als „Horrorkabinett der Kinderschützer“ [3], die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) hält er für „viel gefährlicher, als es Zensursula je war“. [4]

Nach Auffassung der Piraten schafft die Verlagerung des Jugendschutzes von einer technischen Sperrung auf der Anbieterseite hin zu Filtersoftware auf der Nutzerseite oder dazwischen geschalteten Instanzen auch die Grundlage für eine Internet-Zensur, die mit freier Verfügbarkeit von Informationen nicht vereinbar ist. Die Piratenpartei Deutschland Berlin teilt die Bedenken der Experten und fordert die Entscheidungsträger auf, Gesetze nur nach gründlicher Beratung mit Experten aus vielen gesellschaftlichen Bereichen auf den Weg zu bringen.

Links:
[1] http://berlin.piratenpartei.de/2010/03/19/pressemitteilung-internet-rund-um-die-uhr-geoeffnet/
[2] http://blog.beck.de/2010/11/30/jugendmedienstaatsvertrag-und-altersfreigabe-im-internet
[3] http://blog.odem.org/2010/02/horrorkabinett.html
[4] http://blog.odem.org/2010/02/kjm-will-access-blocking.html

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